Richard Wagner in Giswil

Der berühmte Komponist Richard Wagner lebte ab 1849 längere Zeit in Zürich. Er war als Flüchtling nach Zürich gekommen und verliess es 1858, neun Jahre später, in Richtung Venedig nachdem er sich von seiner Frau Minna getrennt hatte. Von Zürich aus unternahm er öfters Wanderungen und Bergtouren in die Alpen. So reiste er im Jahre 1852 mit Postkutsche und Schiff nach Alpnachstad. Den weiteren Weg unternahm er auf Schusters Rappen bis nach Giswil, wo er im Hotel Krone übernachtete. Aus Lauterbrunnen schrieb er einen Brief an seine Frau Minna Wagner in Zürich, er berichtet darin über ein unheimliches Erlebnis in Giswil! 

 

Richard Wagner *1813 +1883

 

An Minna Wagner, Zürich

Liebes Mienel!

Mit dieser himmlischen Feder will ich Dir meinen
ersten Liebesbrief von der Reise schreiben: er wird
auch darnach ausfallen! ­ Die Reise ging bis jetzt
sehr schön von statten. In Luzern kam ich um 3 Uhr
an, nahm sogleich einen Kahn (6 fr) der mich nach
Alpnacht fuhr, wo ich um 7 Uhr landete, und nun so-
gleich in der Abendkühle mich noch zu Fuß aufmach-
te um so weit wie möglich zu kommen. Einen Retour-
kutscher, der mich für 3 fr. mit nach Lungern nehmen
wollte, ließ ich höhnisch fahren. So kam ich noch
Abends um 10 Uhr, immer zu Fuße, bis Gyswyl, 3
1/2 Stunde von Alpnacht; dort klopfte ich die Leute
aus dem Schlafe, nachdem ich mich vor einem
schwarzen Ungethüme sehr gefürchtet, das vor dem
Wirthshaus stand, und scheu bei Seite trat, als ich
Muth faßte und drauf losging. Bis zum Morgen pei-
nigte mich die Vorstellung, was das schwarze Ge-
schöpf für ein Ungeheuer gewesen sei, bis ich mich
dann andern Tages überzeugte, daß es ein schwarzer
Hammel war. In Gyswyl nahm ich weder Abendbrot
noch Frühstück, sondern nur (ein recht gutes) Nacht-
lager. 1/2 5 ging's fort, und bei schönstem Wetter

 

marschirte ich über den Brünig nach Brienz. Nach-
mittag fuhr ich mit dem Dampfboot über den See
nach Interlaken, und freute mich nun schon drauf,
heute Abend wieder zu marschiren, um noch nach
Lauterbrunnen zu kommen, da ­ stellt sich das Un-
glück ein: ­ die neuen Stiefel!! Der linke Fuß ist mir
so zerrieben, daß ich in den Stiefeln nicht weiter
kann; hier suchte ich nun einen Schuster auf, der von
Mittag 4 Uhr an bis Morgen früh 4 Uhr die Stiefel
über einen dicken Leisten schlägt u. in's Wasser stellt.
Wenn das nichts hilft, bin ich übel dran! Nun denke
Dir meine Freude! Ich bin im Uebrigen ganz wohlauf,
und muß mich nun in den Gasthof hersetzen, um zu
warten, bis die Stiefel weich werden. Ein Paar Babu-
schen habe ich mir aber sogleich gekauft, mit denen
ich wenigstens in der Nähe etwas herumpromenieren
will. ­
Sonst ist es himmlisch, namentlich war es gestern
Abend auf dem See und im Unterwaldner Thale herr-
lich. Aber ich sehne mich nun nach der eigentlichen
Alpenluft: Morgen Abend bin ich auf der Wengernalp
(6000 u. so u. viel Fuß hoch): vielleicht bleibe ich
dort einen Tag oben. (usw.)

 

Quelle: Richard Wagner, Sämtliche Briefe, hg. Von Gertrud Strobel und
Werner Wolf, Band IV 1851-1852. Leipzig 1979, S. 405f.