Der Untergang der alten Kirche

Zeitgenössischer Bericht von Pfarrer Niklaus Wanner

 

Im Jahr 1629 war der Juli feucht und regnerisch. Das hatte zur Folge dass die Flüsse und Bäche an vielen Orten über die Ufer traten. Es entstand grosser Schaden an Brücken, Gebäuden und Liegenschaften. Besonders im Kanton Schwyz hatten das Wasser neben vielem Landschaden drei Brücken weggeschwemmt, die Kosten für den Neubau der Brücken betrug mindestens 3000 Gulden.

 

Aber auch in Giswil hatte es etliche Tage stetig und stark geregnet, dadurch hatte die tobende Laui ihr Bett stark verbreitert und seinen Lauf bedrohlich der Pfarrkirche genähert. Die Giswiler hatten etliche Tage intensiv an den Wuhren gearbeitet um den Schaden abzuwenden, aber es war alles umsonst: Am 13. Juli zwischen 18 und 19 Uhr ist die Laui mit einem ungeheuren Wasserschwall mit vielen grossen Steinen, Baumstämmen, Schwemmholz und Schlamm aus seinem Bett ausgebrochen. Die Wuhre und das Bachbort wurden mit grossem Getöse und Gurgeln durchbrochen. Die Flut wälzte sich gegen die Kirche und hat die Friedhofmauer an vier Stellen niedergewalzt und den Friedhof mit Steinen und Unrat etliche Klafter hoch eingesart. Obwohl das grosse Portal der Kirche sicher verschlossen war ist trotzdem viel Wasser in die Kirche geflossen und hat die Kirchenbänke aus ihrer Verankerung gerissen, das Wasser ist ellenhoch über die Seitenaltäre geflossen. Der Hochaltar wurde glücklicherweise verschont, die Sakristei jedoch ist voller Wasser gewesen, das Wasser stand bis in die Mitte der Türe. Es war eine unglaubliche und grausame Sache.

 

Das Wasser wurde von Unholden und Hexen gegen die Kirche getrieben, wie diese im Nachhinein unter der Folter selbst zugegeben hatten. Deren Absicht war es nicht nur die Kirche zu Grunde zu richten sondern auch die hl. Altarsakramente zu entehren und zu schmähen. Es ist ihnen glücklicherweise nicht gelungen, ausser das Wasser im Taufstein wurde davon geschwemmt und der Taufstein umgestossen. Die anderen hl. Sakramente und die übrigen geweihten Sachen hat Hochwürden Pfarrherr Wanner selbst fleissig unter grosser Gefahr durch das tobende Wasser aus der Kirche getragen. Diese hat er für die erste Nacht in Michel Halters Haus getragen, das Haus stand an der Friedhofmauer unterhalb der Kirche. Die Sachen wurden dort so sicher und würdig wie möglich verstaut. Das Wasser jedoch ging auch am folgenden Tag nicht zurück, ja die Gefahr nahm noch zu. Nun war auch das Haus von Michel Halter nicht mehr sicher, er fürchtet um Leib und Leben seiner Familie. Halter brachte seine Familie in Sicherheit und empfahl sein Haus dem Schutz Gottes. Vorher informierte er jedoch noch den Pfarrherrn über seine Absicht. Dieser handelte sofort und brachte die hl. Sakramente sowie den Kirchenschatz zusammen mit seinem Bruder Anton Wanner sowie dem Sigrist Hans Härder und Anderen nicht ohne Gefahr in das Haus des Kaplan beim Riedacher. Hier wurden die Gegenstände drei Tage aufbewahrt. Am Abend des dritten Tages, nachdem das Wasser zurückgegangen war, wurde der Kirchschatz in die Kirche zurück gebracht.

 

Vor der grossen Überschwemmung wurde mit allen Glocken geläutet und alle wollten helfen das Wasser abzuhalten. Aber es half alles nichts, ohne eigene Gefährdung des Lebens konnte man nichts ausrichten und nichts mehr retten. Als Michel Halter mit seinem Sohn Peter und Anton Wanner am Freitag der Überschwemmung bei einbrechender Nacht in die Kirche eilten um die letzten Gegenstände, es handelte sich um die Fahnen, in Sicherheit zu bringen, wurde sie von Pfarrherr zur Eile angetrieben. Sie begegneten sich in der Seitentüre der Kirche. Doch zu spät; sie wurden vom schnell steigenden Wasser überrascht und mussten sich in den Glockenturm retten, es blieb ihnen keine andere Fluchtmöglichkeit. Der Pfarrherr konnte sich mit einem Sprung über die Kirchhofmauer in Sicherheit bringen. Obwohl der Pfarrherr, Hans Härder sowie Hans Halter den drei Eingeschlossenen zu Hilfe eilen wollten konnten sie ohne Gefährdung des eigenen Lebens nichts ausrichten. Die Angehörigen der Eingeschlossenen fürchteten um deren Leben und weinten und klagten. Die Nacht war schon längst hereingebrochen und niemand wusste wie es um die Eingeschlossenen stand. Diese jedoch wussten sich zu helfen, sie nahmen ein Glockeseil und seilten sich über das Vordach hinab auf sicheren Grund. Es ist der Gnade und Fürsorge Gottes zu verdanken, dass beim Kirchenuntergang niemand verletzt wurde. Sicher hat auch das Gelöbnis von Pfarrer Wanner dazu beigetragen, hatte er doch in der grössten Not eine Prozession oder Kreuzgang zum hl. Bruder Klaus nach Sachseln versprochen, wenn niemand an Leib und Leben zu Schaden komme. Dieses Gelöbnis wurde später dann auch gerne eingelöst.

 

Zwei Tage später, am Sonntag den 15. Juli wurde in der Kapelle St. Anton im Grossteil die Messe gehalten. Anschliessend fand die übliche Gemeindeversammlung statt. Man beschloss, Pfarrer Wanner, Ratsherr Hans Schrackmann und Kirchenvogt Melchior Halter sollten sich noch am gleichen Tag nach Sarnen begeben, um den geistlichen und weltlichen Herren die Sachlage darzulegen und diese um Hilfe und Rat anzugehen. In Sarnen sprach man mit dem dortigen Pfarrer Wolfgang Rot, dem Sachsler Pfarrer Heinrich Mäder, mit Bannerherr Sebastian Wirz, Hauptmann Marquard Imfeld, Landvogt Christofel Lab und Ratsherr Hans Jacob. Eine Delegation der Regierung nahm dann am 17. Juli einen Augenschein in Giswil vor. Nach gründlicher Überlegung kam man überein, dass der Schutt aus der Kirche geräumt werden sollte. Die Kirchgemeinde beschloss dann aber, an einem anderen, sichern Ort eine neue Pfarrkirche zu bauen, unter dem Vorbehalt, dass die geistliche und weltliche Obrigkeit zustimme. Pfarrer Wanner legte darauf in der Sarner Ratsstube die Pläne der Giswiler dar. Die Räte unterstützten diese Idee. Nun tauchte aber das Problem des Standortes der neuen Kirche auf, denn die Häuser lagen weit zerstreut, und für viele war der sonntägliche Weg zur Kirche wegen der Laui zu gefährlich. Es entstand, wie es nicht anders zu erwarten war, ein Streit unter den Giswiler Kirchgenossen. Man erachtete es schliesslich für ratsam, sich wieder an die Obrigkeit zu wenden, damit eine Kommission einen geeigneten Platz finde. Der Kommission gehörte von geistlicher Seite die Pfarrherren von Sachseln, Sarnen und Kerns an; von weltlicher Seite waren Landeshauptmann Johann Imfeld, Ratsherr Wolfgang Stockmann, Hauptmann Marquard Imfeld, Landvogt Bartholomäus von Deschwanden Kommissionsmitglieder. Bei ihrer Besichtigung liessen sie sich an alle zur Diskussion stehenden Orten führen. Zuerst auf den Zwingel, wo noch die Ruine der Burg der Herren von Hunwyl stand, dann zur alten Kirche und zum Turm (Burgruine Kleinteil). Von dort stiegen sie über den Hof entlang der Laui hinauf, um deren Gefahr besser beurteilen zu können. Darauf begab man sich in die Bünten und ins Feld zum Haus von Hauptmann und Landesäckelmeister Peter Schäli. Dieser hätte dort für einen Kirchenneubau gratis Land zur Verfügung gestellt. Weiter ging es dann zur Grossteiler Kapelle, wo man alle Parteien anhörte. Schliesslich war man auch in der Kommission geteilter Meinung, man schwankte zwischen Rudenz und dem Teil beim alten Turm. Die endgültige Endscheidung wollte die Kommission wieder den Giswilern überlassen. Aber da sich diese wieder nicht zu einigen vermochten, gelangte sie nochmals an die Kommission mir der Bitte, diese mögen doch entscheiden. Endlich einigten sich diese auf Rudenz. In Rudenz standen nun aber wieder drei Orte zur Diskussion: die einen wollten die Kirche auf dem Zwingel bauen, andere in der Matte der Talacheri, wieder andere auf dem Hügel dazwischen. Zum Glück war man diesmal bald einer Meinung. Einhellig wurde beschlossen, dass man auf dem Zwingel bauen wolle, da dieser Platz mit vorhandenen Steinen, die von der zerfallenen Burg stammten, mit der Sicherheit vor weiteren Überschwemmungen und mit der schönen Aussicht grosse Vorteile bot. Das alte Pflaster konnte man zermalen und als Sand gebrauchen.

 

An Stelle der alten Kirche steht heute dieses offene Chäppeli